inform_Nr4_September2013 - page 29

physio
austria
inform
September 2013
29
HIPPOTHERAPIE
Thesy Feichtinger-Zrost, MSc
Die Physiotherapie auf dem Pferd findet
auch in der Neurorehabilitation ein breites
Anwendungsfeld.
Hippotherapie in der
Neurorehabilitation
Durch die ständige Beckenbewegung, die das Pferd
fordert und fördert, kommt es zu einer Mobilisation der
Wirbelgelenke und der Hüftgelenke. Die in der Hippo-
therapie auftretenden Kräfte bewirken ein besonderes
Rumpftraining mit dynamischer Stabilisation der Brust-
wirbelsäule. Die Wirbelsäule soll extendiert stabilisiert
bleiben, während das Becken bewegt wird. Durch die
gute Aufrichtung kommt es zur physiologischen, sym-
metrischen Nackenstreckung. Dies ermöglicht ein gutes
Halten des Kopfes, was für das Gleichgewicht einen
wichtigen Faktor darstellt. (Dietze 1993)
Da vom Pferd eine kontinuierliche wechselseitige
Schwingung auf die PatientInnen übertragen wird, kommt
es zu einer ständigen, rhythmischen Stimulation beider
Körperhälften, wodurch Symmetrie gefördert wird.
Auf die Muskulatur wirkt die Hippotherapie tonusregulie-
rend. Durch die Wärme und die gleichmäßige Bewegung
des Pferdes lassen Spasmen in den Extremitäten oft
deutlich nach, hypertone Muskulatur wird in Richtung
Normtonus gesenkt, während bei hypotoner Muskulatur
eine Tonuserhöhung erreicht werden kann. Eine perma-
nente Koordinationsschulung und ein hervorragendes
Gleichgewichtstraining sind weitere wichtige Faktoren
in der Hippotherapie.
In einer Studie konnte außerdem gezeigt werden, dass
sich durch regelmäßige Hippotherapie das Ausmaß der
Rumpflateralflexion (Seitbeugung) und der Inklination
(Vorbeugung) sowie die Aufrichtung im Lot signifikant
verbessern lässt (Feichtinger-Zrost 2012).
Auch darf die Wirkung auf die Atmung nicht vergessen
werden. Da die aktive Rumpfaufrichtung leichter einge-
nommen und gehalten werden kann, wird in der Hippo-
therapie die Atembewegung entscheidend intensiviert.
Um von der Brustkorbatmung, wie sie viele der PatientIn-
nen haben, in eine vermehrte Bauchatmung zu kommen,
muss dem Zwerchfell mehr Raum gegeben werden. Dies
kann durch ein Normalisieren der Bauchmuskelspannung
erzielt werden, was auf dem Pferd besonders gut gelingt.
Mit einem Loslassen und Anspannen der Bauchmuskula-
tur gelingt ein gelösteres Sitzen und damit eine bessere
Basis für den Balanceakt des Rumpfes (Strauss 2000,
S 7f, 80, 110; Swift 1992, S 20-24).
Die Hippotherapie bietet die Möglichkeit, Therapie auf
dem, sich bewegenden Pferderücken durchzuführen
und kann so oft entscheidend zum Behandlungserfolg
beitragen.
Zur rein physiotherapeutischen Wirkung kommt bei
der Hippotherapie noch das Pferd als Motivationsfaktor
hinzu: Ein großes, schönes Tier, das Freude und Stolz
vermittelt, vielleicht auch etwas Respekt, das großen Auf-
forderungscharakter hat und das die PatientInnen trägt.
Die positive psychische Verstärkung hilft oft, bisherige
Grenzen zu überwinden. Gerade in der Neurorehabilita-
tion bewirkt dies häufig eine Selbstbestätigung, ein bes-
seres Annehmen der neuen Situation und eine enorme
Steigerung des Selbstvertrauens. Außerdem werden alle
Bereiche der Sensorik angesprochen. Hippotherapie
bringt Motivation, wodurch die Mitarbeit verbessert
und Erfolge gesteigert werden.
Kommen wir aber zurück zum physiotherapeutischen
Aspekt der Hippotherapie. Die PatientInnen sitzen im
Spreizsitz auf dem Pferd, der Kontakt zum Pferderücken
geht über die Innenseite der Oberschenkel und das
Gesäß (v.a. im Bereich der Schambeinäste). Dies ist die
Unterstützungsfläche für das Ausbalancieren von Be-
cken, Wirbelsäule, Rumpf und Kopf. Das Becken über-
nimmt die mehrdimensionalen Schwingungen des
Pferderückens (beim mittleren Schritt eines Großpferdes
ca. 90-110 pro Minute). Die PatientInnen reagieren mit
folgenden Bewegungsantworten:
°
Vor- Zurück-Bewegung um die fronto-transversale
Achse, das Becken geht nach dorsal und federt
zurück in die Ausgangsstellung, die Wirbelsäule
soll die Bewegungsimpulse möglichst in Aufrichtung
widerlagern und stabilisieren.
°
Seit- zu- Seit- Bewegung um die sagitto-transversale
Achse, wobei das Becken abwechselnd rechts und
links absinkt und die Lendenwirbelsäule in eine
Lateralflexion mitnimmt.
°
Hoch- Tief- Bewegung in der Körperlängsachse
°
Rotationen um die fronto-sagittale Achse entstehen
durch die gleichzeitige Vorwärtsbewegung, die das
Becken und die Hüften im Wechsel nach rechts und
links vorschiebt (Strauss 2000).
1...,19,20,21,22,23,24,25,26,27,28 30,31,32,33,34,35,36
Powered by FlippingBook