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physio
austria
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April 2013
Im Bereich Psychiatrie und Psychosomatik stehen Physio-
therapeutInnen im Vergleich zu anderen Fachbereichen
nur wenige Behandlungsansätze mit klaren diagnosti-
schen Richtlinien und darauf aufzubauenden Behand-
lungsleitfäden zur Verfügung. Die Bewegungsanalyse,
Methode Cary Rick bietet ein therapeutisches Verständnis
von Körperbewegung an, das für den physiotherapeu-
tischen Prozess an der Schnittstelle Bewegung/Selbst-
empfinden ein fundiertes Instrumentarium bietet.
Die Bewegungsanalyse systematisiert psychomotorische
Grundlagen für die Bewegungsintervention mit geistig
oder seelisch beeinträchtigten oder behinderten Men-
schen und verhaltensauffälligen Kindern. Mittels
Bewegungsspielen und -übungen wird die gezielte Aus-
einandersetzung mit dem alltäglichen Handlungspotenzial
gefördert. Die standardisierten Beobachtungskriterien
ermöglichen die Erstellung des motorischen Befunds,
der die individuell verfügbaren psychomotorischen
Ressourcen erfasst.
Die Anwendung im Einzel- oder Gruppensetting
Ausgehend vom motorischen Befund wird der/die
TeilnehmerIn dazu aufgefordert, mit erweiternden Bewe-
gungsweisen zu experimentieren. In einer fortgeschritte-
nen Phase des Prozesses setzen die Teilnehmenden ohne
Anleitung selbstbestimmt die eigenen spontanen Bewe-
gungsimpulse um. Diese Auseinandersetzung fördert
deren motorische Selbstanalyse, die im Dialog mit
dem/der »BewegungsanalytikerIn« über die Reflexion des
subjektiven Bewegungserlebens entsteht. Das Ziel dieses
Vorgehens ist es, ein zunehmendes Verständnis für die
eigenen Bedürfnisse zu erwerben und deren Umsetzung
in entsprechenden Handlungsalternativen zu erproben.
Im Gruppensetting macht der/die TherapeutIn Bewe-
gungsangebote, die von den TeilnehmerInnen auf individu-
elle Weise aufgegriffen und umgesetzt werden. Die
Gruppenmitglieder werden dazu angeregt, sich ihren
Bewegungsimpulsen folgend alleine oder in Interaktion
mit anderen zu bewegen. Die Reflexion der Bewegungs-
erfahrungen findet im Gruppengespräch statt. Es gibt kein
objektives Urteil über »richtiges« oder »falsches« Bewe-
gen, die Auswertung des eigenen Bewegungserlebens
bleibt subjektiv.
Der/die »BewegungsanlytikerIn« stellt sich im Arbeits-
prozess als klares Gegenüber zur Verfügung Lernfeld
ist sowohl die motorische Auseinandersetzung als
auch die therapeutische Beziehung. KlientIn und
TherapeutIn bringen sich als Person mit der eigenen
Haltung und Sicht der Dinge in den Behandlungspro-
zess ein. Somit entsteht ein lebensnaher Austausch.
Persönliche motorische Entwicklung und Interaktion
gehen in der Bewegungsanalyse wie im Leben Hand
in Hand.
Verkörperung
Die Art und Weise, wie wir den eigenen Körper auffas-
sen, beeinflusst unmittelbar unser Erleben und Han-
deln. Die komplexe und verinnerlichte Auffassung des
eigenen Körpers ist von unseren Lebenserfahrungen
geprägt und aufgrund der Entwicklung im Lebenspro-
zess von der Geburt an bis zum Tod ständiger Wand-
lung unterzogen.
C. Rick macht auf vier Teilbereiche der Verkörperung
aufmerksam: Sensomotorik, Physiomotorik, Aktions-
motorik, Psychomotorik. Beim Erwachen aus dem
Schlaf etwa fluktuiert unser Bewusstsein zunächst zwi-
schen Schläfrigkeit und Wachheit. Während wir beim
Aufwachen nach und nach die Trägheit der Nacht über-
winden, die Augen noch geschlossen sind, leitet das
körperliche Empfinden oder Leibgefühl die Bewegun-
gen an. Hier herrscht der Bereich der Sensomotorik
über die Wahrnehmung des eigenen Körpers.
Um die Schwerkraft gezielt zu überwinden, mobilisie-
ren wir anschließend einzelne Körperteile, indem wir
über den Sitz in den aufrechten Stand wechseln. Die
Körperwahrnehmung integriert den Bereich der Phy-
siomotorik. Wir kommen in Schwung, der Muskeltonus
steigt. Die Bewegungen werden dynamischer, sobald
wir die Aktivitäten des Alltags in Angriff nehmen.
Nun prägt der Bereich der Aktionsmotorik die Ver-
körperung. Der motorische Modus wechselt im Tages-
verlauf stets zwischen Teilbereichen der Verkörperung.
So werden wir den Alltagsanforderungen gerecht,
möglichst ohne dabei die eigenen Bedürfnisse zu miss-
achten. Psychische Befindlichkeit und motorisches
Handeln sind untrennbar verbunden. Diese komplexe
integrative Verbundenheit sensomotorischer, physio-
motorischer und aktionsmotorischer Ressourcen
definiert C. Rick als Psychomotorik.
Themenschwerpunkt
Körper und Psyche
Bewegungsanalyse
nach Cary Rick
Eine umfangreiche Theorie der Bewegungsanalyse stellt ein
professionelles Werkzeug für psychomotorische Diagnostik
und Bewegungsintervention dar. Eine umfassende Darstellung
samt Anwendungshinweisen.
Anwendungsmöglichkeiten in der Physiotherapie,
Fachbereich Psychiatrie und Psychosomatik