Die physiotherapeutische Arbeit mit psychi-
atrisch erkrankten Menschen bringt andere
Herausforderungen mit sich als die Behand-
lung psychisch gesunder Menschen mit
einem klar definierten Leiden am Bewe-
gungsapparat. Psychische Erkrankungen
äußern sich sowohl in Stimmung, Antrieb,
Aufmerksamkeit, Konzentration als auch kör-
perlich durch Veränderung im Muskeltonus,
in der Atmung, Haltung, Bewegung, Stimme
und Mimik. Psychische Krisen können das
Körpergefühl wesentlich verändern. Deshalb
bedarf es spezieller Behandlungskonzepte
der Physiotherapie. Eine sehr wirkungsvolle
physiotherapeutische Behandlungsmethode
ist die Basic Body Awareness Therapie
(BBAT). Sie wurde von der schwedischen
Physiotherapeutin Gertrude Roxendal
entwickelt und baut auf einem Bewegungs-
konzept (»Expression Corporelle«) des fran-
zösischen Schauspielers, Psychologen und
Psychotherapeuten Jacques Dropsy auf.
BBAT eignet sich für PatientInnen mit
psychischen Erkrankungen, psychosomati-
schen Störungen, chronischen Schmerzen
und Verspannungsbeschwerden. In der Pro-
phylaxe und Prävention kommt die BBAT
ebenso zur Anwendung.
Behandlungsmethode
BBAT ist in den skandinavischen Ländern seit Jahrzehn-
ten etabliert und wird heute bereits in vielen Ländern in
stationärer und ambulanter Physiotherapie praktiziert
und in Kursen unterrichtet. Zentrale Aspekte der BBAT
sind die Beziehung, die Motivation und die Körper-Ich-
Funktionen, auf die noch näher eingegangen wird. Das
Verfahren ist ressourcenorientiert. Das bedeutet, dass
nicht die Symptome im Vordergrund der Behandlung
stehen, sondern die vorhandenen gesunden Fähigkeiten
des Menschen entdeckt und ins Bewusstsein gerückt
werden. Es wird ein Prozess angeregt, in dessen Verlauf
der Kontakt zum eigenen Körper intensiviert und die
Eigenkompetenz erweitert wird.
1
Die grundlegenden (basic), einfach gehaltenen Körper-
wahrnehmungsübungen (body awareness) werden im
Liegen, Sitzen, Stehen und Gehen ausgeführt. Dazu
kommen Partner- und Stimmübungen und spezielle
Massagetechniken. Die Übungen werden wiederholt,
die Aufmerksamkeit wird dabei auf unterschiedliche
Aspekte der Wahrnehmung gerichtet. Dabei spielt die
Bewusstheit bei der Übungsausführung eine zentrale
Rolle. Veränderungen im Kontakt zum Boden, in der
Aufrichtung, in der Muskelspannung, in Gleichgewicht
und Bewegungsfluss, in Atemrhythmus und Atemaus-
breitung, in der Konzentration sowie im Gefühlsleben
können durch die mentale Präsenz und die Wiederholun-
gen der gleichen Übungen immer deutlicher wahrge-
nommen werden. Der/Die Übende erarbeitet sich ein
Bewusstsein seiner/ihrer Selbst, ein Selbstbewusstsein,
das mehr Handlungsfreiheit ermöglichen kann.
Themenschwerpunkt
Körper und Psyche
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physio
austria
inform
April 2013
Alle »Körpererlebnisse« einer Person
kommen im Körper-Ich zum Ausdruck
Roxendal hat dazu die Körper-Ich- Funk-
tionen (K-I-F) definiert und beschrieben.
°
BEZUG ZUM BODEN
Damit ist die Fähigkeit gemeint, in verschie-
denen Positionen sein Gewicht auf die
Unterlage abgeben zu können. Im Liegen
achtet der/die TherapeutIn auf die Auflage-
fläche des/der PatientIn und darauf, ob
Gewicht mit Spannung gehalten oder an
den Boden abgegeben wird. Übungen,
die den Bezug zum Boden verdeutlichen,
vermitteln ein Gefühl von Sicherheit.
°
BEZUG ZUR MITTELLINIE
Es wird auf die Anordnung der Körperteile
längs der Mittelachse geachtet. Abweichun-
gen können zum Beispiel zu chronischen
Muskelverspannungen führen und das Gleich-
gewicht beeinträchtigen. Die posturale Aktivi-
tät kann weniger gut genützt werden. »Es ist
erstrebenswert, ein Gleichgewicht zwischen
der nach unten gerichteten Schwerkraft und
den nach oben gerichteten Haltungskräften zu
finden, ohne dass eine Richtung dominiert.«
2
Körper und Psyche
sind eine Einheit
Die Basic Body Awareness Therapie ist eine physiotherapeutische Methode,
um das körperliche und psychische Gleichgewicht zu stärken
Monika Mair
ist Physiotherapeutin und
arbeitet seit 2002 im Landes-
krankenhaus Hall/Psychiatrie
und ist Referentin an der
EURAK, Hall sowie als Pilates-
trainerin tätig.
Michaela Zocchi
ist Physiotherapeutin und
arbeitet seit 1989 im Landes-
krankenhaus Hall/Psychiatrie,
Weiterbildungen im Bereich-
Leibtherapie, Radixtherapie,
Feldenkrais, Konzentrative
Bewegungstherapie.
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