physio
austria
inform
September 2013
15
KRAFTTRAINING
Anita Kiselka, MSc
Eine mögliche Alternative zu diesen Verfah-
ren stellt die Regulation der Trainingsintensi-
tät basierend auf der Wahrnehmung von
Kraftanstrengung dar. Hierfür bietet sich
die 10-stufige OMNI-Resistance Exercise
Scale an, bei der 0 keine Anstrengung und
10 eine gerade nicht mehr ausführbare
muskuläre Anstrengung darstellt. Zu Beginn
einer Übungsreihe wählt die trainierende
Person ein Gewicht, das einer OMNI 5 bis 7
entspricht. Im Anschluss an jede Wiederho-
lung bewertet die Person die wahrgenom-
mene Kraftanstrengung auf der OMNI-Skala.
Eine Pause erfolgt, wenn dieser Wert OMNI
6 bis 8 erreicht hat. Das Trainingsgewicht
entspricht dann bei Gesunden laut Naclerio
et al. (2011) 60-80% ihrer Maximalkraft. Dies
stellt die optimale Trainingsintensität für
effektives Krafttraining dar. Diese Methode
ermöglicht, das Trainingsgewicht rasch und
unkompliziert an die trainierende Person
anzupassen. Nun stellt sich die Frage, ob
dieses Verfahren auch für Menschen mit
Multipler Sklerose geeignet ist?
In meiner Masterthesis habe ich am Beispiel
isometrischer Muskelaktivität untersucht,
ob sich bei Menschen mit Multipler Sklerose
die wahrgenommene Kraftanstrengung
verändert. Die Studie zeigte keinen Unter-
schied. Anlässlich dieser Ergebnisse startete
dieses Jahr eine weiterführende Unter-
suchung am Beispiel konzentrischer Muskel-
aktivität. Es wird sich zeigen, ob die OMNI-
Werte 5 bis 7 auch bei Menschen mit
Multipler Sklerose der optimalen Trainings-
intensität von 60-80% entsprechen.
Die bisherigen Erkenntnisse können nur
einen ersten Hinweis auf die Anwendbarkeit
der OMNI-Skala im Trainingsalltag geben. Es
wurde noch nicht untersucht, ob Personen
mit Multipler Sklerose mit diesem Verfahren
ihre Muskelkraft effektiv steigern können.
Praktische Erfahrungen in der Anwendung
der OMNI-Skala bei KlientInnen im Multiple
Sklerose Tageszentrum zeigen jedoch Vor-
teile dieses Verfahrens auf. Durch den Ein-
satz eines visuellen bzw. quantitativen
Hilfsmittels ermöglicht die OMNI-Skala eine
gemeinsame Sprache über die muskuläre
Ermüdung der Betroffenen. Bei manchen
Personen zeigt sich beispielsweise, dass sie
sich regelmäßig bis OMNI 9 belasten. Dies
erklärt ihre starke Ermüdung und mangelnde
Leistungssteigerung trotz regelmäßigen
Trainings. Personen mit Multipler Sklerose
bekommen durch die Anwendung von Kraft-
anstrengungsskalen eine Orientierung auf
dem schwierigen Weg zwischen Über- und
Unterforderung, mit der sie unabhängig von
der aktuellen Tagesverfassung, selbstständig
und eigenverantwortlich die optimale
Trainingsintensität erzielen können.
Anita Kiselka, MSc
Physiotherapeutin, seit 2009 im
Multiple Sklerose Tageszentrum der
Caritas Socialis angestellt. 2011 Abschluss
des Masterlehrgangs »evidenzbasiertes
Arbeiten in der Physiotherapie« an der
FH Campus Wien. Im März 2013 Publika-
tion ihrer Masterthesis im Journal
Neurorehabilitation. Präsentation der
Studie als Poster am 24.9.2013 beim
XXI. Neurologiekongress in Wien.
Die aktuellen Studien orientieren sich an den
Empfehlungen des American College of
Sport Medicine, in deren Umsetzung sind
jedoch große methodische Unterschiede
erkennbar. Die meisten Studien wenden
konzentrisches, progressives Krafttraining
mit Geräten an, primär bei Versuchsperso-
nen mit leichter bis mittlerer Behinderung
2x/Woche. Die Ziel- und Messparameter
wählen sie hingegen sehr unterschiedlich,
ebenso wie die Trainingsdauer, die Wahl und
Steigerung der Gewichte und Wiederholun-
gen, die Geschwindigkeit der Bewegungs-
ausführung, das Vorgehen beim Auf- und
Abwärmen oder die Länge der Pausen.
Die optimale Trainingsintensität
bestimmen
Ein ausreichend hohes Trainingsgewicht und
die Ausführung entsprechend vieler Wieder-
holungen sind entscheidend für ein Training
mit optimaler Intensität. Übliche Verfahren
zur Berechnung des Trainingsgewichtes
basieren entweder auf dem Ergebnis eines
Maximalkrafttests oder der maximal mögli-
chen Wiederholungsanzahl. Diese Verfahren
sind aufwändig und ermüden die Trainieren-
den bis zur Erschöpfung. Menschen mit
Multipler Sklerose können daher nach einem
Maximalkrafttest nicht sofort das Training
anschließen, weil sie zu stark ermüdet sind.
Beim nächsten Termin erfordert jedoch
möglicherweise eine Änderung der Tages-
verfassung eine neuerliche Anpassung der
Trainingsintensität. Bei Austestung der
maximalen Wiederholungszahl stellt sich
wiederum die Frage, wie zuverlässig das
Verfahren bei Personen mit vorzeitiger
Ermüdung ist.
© Josef Mattes