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September 2013
Eine weitere Voraussetzung für die maximale Sicherheit
der PatientInnen ist der baulich einwandfreie Zustand der
Boulder- bzw. Kletterwände, die Befestigung der Griffe
und Tritte sowie die Einhaltung der gesetzlichen Rege-
lungen in Bezug auf die Weichmattenböden. Von den
PatientInnen wird keine spezielle Ausrüstung benötigt.
Man braucht lediglich bequeme Sportkleidung und
engsitzende Turnschuhe mit flacher Sohle. Eventuell
zusätzlich benötigte Sicherungsgeräte werden zur
Verfügung gestellt.
Bestandteile der Kletterbewegung:
°
repetitive Bewegungen
°
aktive Bewegungen
°
bilaterale Bewegungen
°
rhythmisch alternierende Bewegungen
°
aufgabenorientierte Bewegungen (ICF)
In der Studie von Fleissner, et al (2010) konnten mit
therapeutischem Klettern sehr positive Ergebnisse bei
geriatrischen PatientInnen erzielt werden. Eine große
Rolle spielte sicherlich auch der Motivationsfaktor. Rein
subjektiv konnte von den behandelnden TherapeutInnen
eine große Bereitschaft von Seiten der PatientInnen zur
aktiven Mitarbeit beim therapeutischen Klettern festge-
stellt werden. Während der Klettereinheiten waren die
meisten ProbandInnen deutlich motiviert und hatten mehr
Ausdauer als in anderen Therapien, hatten Freude an
der Bewegung und trainierten unbewusst Kraft, Gleich-
gewicht, Koordination und Beweglichkeit.
In der Studie »Effects of Climbing on Core Strength and
Mobility in Adults« von 2012 wird erwähnt, dass Klettern
sich sehr gut auf die Stärkung der Rumpfkraft und Mobili-
tät auswirkt. Klettern einer bestimmten Route ist beson-
ders für die Rumpfflexoren und -extensorenstärkung
herausfordernd. Häufiger Richtungswechsel durch ver-
schiedene Kletterbewegungen verbessert die Mobilität
des Rumpfes und fördert Gleichgewicht und
Koordination.
Verminderte Körperwahrnehmung, Kraftdefizit, Gleich-
gewichts- und Koordinationsstörungen, Tremor, Rumpf-
stabilisationsschwäche, Fatigue, Depressionen, Konzen-
trationsschwäche und Muskelkraftdefizit sind nur einige
Punkte der Krankheit mit den tausend Gesichtern, der
Multiplen Sklerose. Therapeutisches Klettern stärkt das
Körpergefühl, erhöht die Arm- und Beinkraft, verbessert
die Arm-Bein-Koordination und die Rumpfstabilität, stei-
gert die Ausdauer und gibt neues Selbstbewusstsein.
Genau aus diesen Gründen eignet sich Therapeutisches
Klettern gut zur Behandlung der oben genannten Symp-
tome bei Menschen mit Multipler Sklerose.
Betrachtet man das gesamte Symptombild der MS,
sind es die Störungen des motorischen, kognitiven und
vegetativen Systems, die den größten Einfluss auf das
alltägliche Leben der Betroffenen haben. Durch die
Vielzahl der Symptome und Beeinträchtigungen hat
jede Person mit MS ihre eigene Herausforderung zu
bewältigen. Das Therapeutische Klettern kann hierbei
eine gute Hilfe leisten.
Bei MS kommt es unter anderem zu Störungen im
Bewegungsablauf. Schonhaltungen bleiben länger als
notwendig bestehen und können zu Langzeitschäden
in der Gesamtmotorik führen und Folgeschäden mit
sich bringen. Therapeutisches Klettern kann die
gestörten Bewegungsprogramme neu anbahnen,
reorganisieren und physiologische Bewegungsabläufe
ökonomisieren.
Bilaterale Bewegungen stimulieren die Interaktionen
beider Hirnhälften. Die Aktivierung der besseren Hirn-
hälfte führt über die interhemisphärische Verbindung
auch zu einer vermehrten Aktivierung der krankheits-
bedingt schwächeren Hirnhälfte und somit zu einer
Optimierung komplexer Bewegungsmuster.
Die Mitglieder der MS Klettergruppe »MS ON THE
ROCKS« sind wahre Pioniere im Gebiet der therapeuti-
schen Klettertherapie bei MS. Sie sind alle Mitglieder
des Kuratoriums für Prävention und Rehabilitation an
der Technischen Universität München und klettern
euphorisch und mit gutem Erfolg. Durch die begeis-
ternden Berichte der bisherigen TeilnehmerInnen über
Erfolg des therapeutischen Kletterns hat sich die
Gruppe bereits weiter vergrößert und es wurde sogar
in den Medien darüber berichtet. Es wird jeden Sams-
tag in geteilten Gruppen für zwei Stunden aufgewärmt
und geklettert.
Voraussetzungen für MS-PatientInnen
Laut Reimann (2011) eignet sich Klettern für MS-
PatientInnen bis zu einem EDSS (Expanded Disability
Status Scale) von 6,5. Bei Behinderungsgraden von
EDSS 7 bis 7,5 ist eine Hilfestellung von zwei Thera-
peutInnen erforderlich. Dabei unterstützen die Thera-
peutInnen den gezielten Aufsatz der Füße auf die
Trittelemente, die seitliche beziehungsweise vertikale
Körpergewichtsverlagerung sowie das Anheben eines
Beines oder beider Beine. Das rehabilitative Klettern
kann als Einzeltherapie oder in kleinen Gruppen durch-
geführt werden. Um die Sicherheit der MS-PatientIn-
nen zu gewährleisten, ist im rehabilitativen Bereich
auch bei Boulderwänden in gewissen Fällen eine
Seilsicherung sinnvoll. Mittels eines verstellbaren
Hüftgurts und Knieschonern werden die PatientInnen
optimal gesichert.
Fast alle Bewegungen des Menschen haben ihren
Ursprung im Beckenbereich. Da sich dort der Körper-
schwerpunkt (KSP) befindet, gilt diese Region als Be-
wegungszentrum. Der Bewegungsablauf des
therapeutischen Kletterns findet in vier Teilen statt:
°
Ausgangsposition,
°
Vorbereitung der Bewegung,
°
Ausführung der Bewegung und
°
Stabilisation.
Dies gilt für Arme und Beine gleichermaßen.
Themenschwerpunkt
Neurorehabilitation