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Juni 2016
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GESUNDHEITSKOMPETENZ
Martina Sorge, MSc
4. Mit welchen sozialen, migrationsspezifischen und
psychischen Determinanten hängt die GK der untersuch-
ten Gruppen zusammen?
Die GK von MigrantInnen, gleich der Allgemeinbevölke-
rung, hängt hauptsächlich vom sozioökonomischen
Status ab. Abgesehen von Sprachkenntnissen treten
migrantInnenspezifische Determinanten in den Hinter-
grund, was das Survey bestätigt. In beiden befragten
Gruppen ist v.a. finanzielle Benachteiligung sowie in
der TR das Alter und in der BKS die Bildung ein deutlich
stärkerer Prädiktor der GK als die untersuchten migrati-
onsspezifischen Indikatoren.
5. Welche gesundheitsrelevanten Konsequenzen hat
(niedrige) GK bei den MigrantInnengruppen?
Es wurden die Auswirkungen von GK auf das Gesund-
heits- und Risikoverhalten, den Gesundheitsstatus und
die Inanspruchnahme des Krankenbehandlungssystems
untersucht. Beim Gesundheits- und Risikoverhalten
ergaben sich nur wenige Zusammenhänge mit der GK.
Mit niedrigeren GK-Werten hängt häufigerer, täglicher
Tabakkonsum in der TR und ungesundes Ernährungs-
verhalten in der BKS Stichprobe zusammen. Bestätigt
werden die Zusammenhänge zwischen niedriger GK
und schlecht selbst eingeschätzter Gesundheit anderer
Studien.
6. Wie erleben die beiden MigrantInnengruppen das
österreichische Krankenbehandlungssystem bzw. was
erwarten sie von diesem und welche Rolle spielt
dabei die GK?
Schlechte Interaktionserfahrungen (z.B. im Gespräch
mit ÄrztInnen) bzw. mangelndes Vertrauen gegenüber
dem österreichischen Gesundheitssystem sind wichtige
Hürden für eine effektive Nutzung von Gesundheits-
dienstleistungen durch MigrantInnen. Schlechte GK in
beiden Gruppen hat Einfluss darauf, wie häufig von
misslungenen bis diskriminierenden Interaktionen im
österreichischen Gesundheitssystem berichtet wird.
7. Welche relevanten Unterschiede hinsichtlich GK
gibt es zwischen den beiden untersuchten MigrantInnen-
gruppen?
Zu bedenken ist, dass sich die beiden Gruppen in ihrer
sozialen Zusammensetzung unterscheiden und dies noch
durch Mängel in der Repräsentativität der Stichprobe
verstärkt wird. BKS haben im Durchschnitt eine höhere
allgemeine GK, unter Berücksichtigung des Einflusses so-
zioökonomischer bzw. migrantInnenspezifischer Faktoren
ist dieser Unterschied jedoch nicht mehr signifikant.
Zumeist gilt: je geringer die GK, desto häufiger wird das
Gesundheitssystem in Anspruch genommen.
8. Welcher Bedarf an Interventionen ergibt sich aus
dieser Studie und welche GK-relevanten migrantInnen-
spezifischen Maßnahmen gibt es bereits in Österreich?
Maßnahmen, die zur Verbesserung der GK von MigrantIn-
nen in Österreich beitragen können, konzentrieren sich
derzeit eher auf Großstädte, haben meist als Projekte
eine kurze Laufzeit sowie nur wenige institutionalisierte
Angebote und basieren auf Freiwilligenarbeit. Für eine
nachhaltige Angebotsstruktur ist der Ausbau professio-
neller Strukturen notwendig; muttersprachliche Ange-
bote, Dolmetsch-Dienste und eine Plain Language
Policy sind wesentliche Bestandteile.
Kommentar
Der sogenannte Migrationsstatus bedeutet nicht zwangs-
läufig, dass geringe GK vorliegt. Im Vergleich zu entspre-
chenden österreichischen Gruppen haben dieser Studie
zufolge sozioökonomisch besser gestellte und besser
integrierte MigrantInnen sogar eine bessere GK. Zentrale
Bedeutung haben die Sprachkompetenz, erlebte Inte-
gration sowie sozioökonomische Faktoren. MigrantInnen-
spezifische Determinanten scheinen eine geringere
Rolle zu spielen.
Entgegen dem als überraschend beschriebenen Ergebnis
scheint es durchaus nachvollziehbar, dass die befragten,
ehemaligen GastarbeiterInnen, auf welche sich die Studie
konzentriert, auf Grund bereits verhältnismäßig umfang-
reich stattgefundener Integration, nicht allzu große Unter-
schiede hinsichtlich GK im Vergleich zu den Österreichern
aufzeigen. Insbesondere da bereits einleitend Verzer-
rungen hinsichtlich Repräsentativität der Stichprobe
(besonders benachteiligte MigrantInnengruppen können
telefonisch nur schlecht erreicht werden und verweigern
eher die Teilnahme) sowie hinsichtlich Bildung statuiert
werden. Es wurden überproportional besser integrierte
MigrantInnen mit höherem sozioökonomischen Status im
mittleren Lebensalter erfasst (Unterrepräsentation jünge-
rer und älterer).
Martina Sorge, MSc
LITERATUR
HLS-EU Consortium (2012).
Comparative Report of Health
Literacy in Eight EU Member
States. The European Health
Literacy Survey HLS-EU (Se-
cond Extended and Revised
Version, Date July 22th, 2014).