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April 2015
29
ORTHOPTIK
Ulrike Pichler, MSc
Den Beruf der OrthoptistInnen gibt es in Österreich seit
1964, wo der erste Lehrgang an der damaligen Schule
für Orthoptik in Salzburg stattfand. Die primäre Aufgabe
der OrthoptistInnen bestand früher darin, bei schielen-
den und sehschwachen Kindern die Augen zu »beschu-
len«, woher auch der Begriff der »Sehschulen« abgeleitet
ist. Im Laufe der Jahre haben sich der Beruf und auch
die Ausbildung verändert. Von der Schule zur Akademie
und nun zur Fachhochschule. Von beschulenden Assis-
tentInnen zu SpezialistInnen für Funktionsstörungen
der Augen. Heute gibt es in Österreich geschätzt
300 OrthoptistInnen, dabei nur ca. sechs Orthoptisten,
weshalb meist die weibliche Form des Berufes benutzt
wird. 70 Prozent von ihnen sind in Ordinationen und
30 Prozent in Kliniken oder Reha-Zentren tätig.
OrthoptistInnen arbeiten eigenverantwortlich auf ärzt-
liche Anordnung, erheben den orthoptischen Befund,
erstellen die orthoptische Diagnose und den Therapie-
leitplan. Sie sind SpezialistInnen bei der Diagnostik und
Therapie von Schielen, Sehschwäche, Doppelbildern,
Sehüberanstrengung, Augenzittern, okulären Kopf-
zwangshaltungen sowie Sehproblemen durch neurologi-
sche, internistische, traumatische oder endokrinologe
Störungen. Manche OrthoptistInnen haben sich auf die
Anpassung von Kontaktlinsen, vergrößernde Sehhilfen,
orthoptische Rehabilitation, ophthalmologische Unter-
suchungsmethoden oder die Vorsorge (»Kindergarten-
reihenuntersuchungen«) spezialisiert. Sie arbeiten eng
mit OphthalmologInnen im niedergelassenen oder
klinischen Bereich zusammen.
Sehstörungen bei Stoffwechselerkrankungen
Diabetes, Adipositas, Rheuma und Schilddrüsenerkran-
kungen können auch zu Sehstörungen führen, bei denen
OrthoptistInnen die idealen AnsprechpartnerInnen sind.
Diabetes führt durch die Mikrozirkulationsstörungen
häufig zu Doppelbildern durch Paresen von Hirnnerven
(Abducensparese (Abb. 1), Okulomotoriusparese).
OrthoptistInnen führen hier spezielle Untersuchungen
durch (z.B. Messung des Schielwinkels in verschiedenen
Blickrichtungen an der Tangentenskala (Abb. 2), Beur-
teilung der Augenmotilität) und können dadurch exakt
bestimmen, um welche Art der Parese es sich handelt.
Therapeutisch kann den PatientInnen häufig mit einer
Prismenfolie geholfen werden – damit können in
80 Prozent der Fälle Doppelbilder erfolgreich aus-
geglichen und eine Verbesserung der Lebensqualität
für die Dauer der Rückbildung erreicht werden.
Adipositas und Begleiterkrankungen wie Hypertonie
erhöhen das Insultrisiko. Doppelbilder, Verschwom-
mensehen, Schwindel, Gesichtsfeldausfälle oder
Nystagmus sind häufig erstes Symptom eines Insults.
Durch eine klinisch-neuroorthoptische Untersuchung
kann oft der genaue cerebrale Läsionsort (meist im
Hirnstamm/Kleinhirn) eingegrenzt und bildgebende
Verfahren gezielter eingesetzt werden. Neben dem
Prismenausgleich kommen hier als Therapie auch
Fusionsschulungen oder Gesichtsfeldtraining zum
Einsatz.
Die Autoimmunhyperthyreose (Morbus Basedow)
kann zu schweren Beeinträchtigungen der Sehfunktio-
nen führen. Durch eine Schwellung der Augenmuskeln
kommt es zu Exophthalmus und Doppelbildern, Lid-
schwellungen und im schlimmsten Fall zur Kompres-
sion des Nervus optikus mit drohender Erblindung.
OrthoptistInnen dokumentieren mögliche Veränderun-
gen der Sehschärfe und der Motilität. Sie sind auch
hier therapeutisch und beratend tätig.
Stoffwechselerkrankungen mit Sehstörungen machen
in der Diagnostik eine interdisziplinäre Zusammen-
arbeit mit NeurologInnen, InternistInnen, Endokrinolo-
gInnen, RadiologInnen und OphthalmologInnen erfor-
derlich. In der Therapie ist ein Austausch mit den
anderen medizinisch-technischen Berufsgruppen -
v.a. auch mit der Physiotherapie und Ergotherapie -
hilfreich, um die besondere Situation von PatientInnen
mit Sehstörungen in der allgemeinen Therapie berück-
sichtigen zu können.
Ulrike Pichler, MSc
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© Orthoptik AKH Linz
© Orthoptik AKH Linz
ABB. 2
Messung des
Schielwinkels an der
Tangentenskala mit
Stirnhelm und
Dunkelrotglas
ABB. 1
Patientin mit Abducensparese rechts – deutliches
Innenschielen beim Blick nach rechts (siehe oben),
Blick nach links frei (siehe unten)