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April 2015
15
Darm in Bewegung
REIZDARMSYNDROM
Astrid Mangi, Stefanie Weber
Hat ein physiotherapeutisch abgestimmtes Übungsprogramm
einen Effekt auf das Reizdarmsyndrom? Eine Pilotstudie im Rahmen
einer Bachelorarbeit an der FH St. Pölten sagt »tendenziell ja«.
Der Überweisungsgrund »Reizdarmsyndrom
(RDS)« mag in der Physiotherapiepraxis
vielleicht noch nicht vorgekommen sein.
Ohne es zu wissen, haben viele Physiothera-
peutInnen in ihrer Laufbahn aber bestimmt
schon PatientInnen mit dieser Nebendiag-
nose behandelt. RDS, auch Irritable Bowel
Syndrom (IBS), ist eine anorganische Erkran-
kung des Gastrointestinaltrakts. Dafür
müssen chronische, den Darm betreffende
Beschwerden über drei Monate lang be-
stehen. Die Diagnose erfolgt über eine lange
Prozedur an Ausschlussverfahren. Dabei
werden RDS-PatientInnen in drei Unter-
gruppen gegliedert: Es gibt den Diarrhöe-
dominanten Typ, den Obstipations-domi-
nanten Typ und einen Mischtypen. Diese
Untergruppen können zusätzlich weitere
Symptome und Beschwerden entwickeln,
die sich sowohl intestinal (u.a. Änderungen
von Verdauungsangewohnheiten, Bauch-
schmerzen, abdominale Dehnung und
Schmerzen) als auch extraintestinal
(u.a. Müdigkeit, depressive Stimmungen,
sexuelle Probleme, Muskelschmerzen und
–verspannungen) präsentieren. Wie auch
bei anderen chronischen Schmerzsyndromen
stellen all diese Symptome für Betroffene
eine Einschränkung ihres alltäglichen Akti-
onsradius dar. Immer wieder wird die vermin-
derte Teilhabe im Alltag von PatientInnen als
ihr Hauptproblem angegeben.
Therapeutische Ansätze
Die Therapie ist symptomorientiert. Zum
Einsatz kommen primär Medikamente und
psychotherapeutische Konzepte. Zusätzlich
wird empfohlen, Stressoren zu reduzieren,
die körperliche Aktivität zu steigern und
Entspannungsmaßnahmen zu erlernen.
Oft sind die Komplementärmedizin und die
alternative Medizin eine Anlaufstelle für RDS-
PatientInnen. Trotzdem fühlen sich
Betroffene oft mit der Diagnose allein gelas-
sen, weil sie wenig konkrete Ansätze für ihr
Selbstmanagement erhalten.
Mit der Physiotherapie eröffnet sich eine
Möglichkeit, RDS über aktive Übungen und
passive Behandlungstechniken zu therapie-
ren. Eine evidenzbasierte Therapie stellt
insofern jedoch eine Herausforderung dar,
da es bis dato nur wissenschaftliche Studien
zu Yoga und allgemein sportlicher Betätigung
bei RDS gibt. Für den Praxisgebrauch gibt es
validierte Assessment Tools wie das Irritable
Bowel Syndrome-Severity Scoring System
(IBS-SSS) und die Bristol Stool Form Scale,
die eine objektive Dokumentation des
Behandlungsverlaufs und eine Ermittlung
des Schweregrades ermöglichen. Beim IBS-
SSS wird der Ausprägungsgrad über die
Gesamtpunkteanzahl bestimmt. Bei einem
Wert unter 75 Punkten liegt kein RDS vor.
Von einer leichten Form spricht man bei
75 bis 175 Punkten, bei 175 bis 300 Punkten
liegt eine mittelschwere Form vor. Die
schwerwiegendste Ausprägung verzeichnet
über 300 Punkte. Eine relevante Verbesse-
rung für PatientInnen zeigt sich ab einer
Differenz von 50 Punkten.