Themenschwerpunkt
Lernen in der Physiotherapie
optimal vorbereiten. Erarbeitete Kompetenzen müssen
also auf das reale Arbeitsfeld transferiert werden können,
um in der berufspraktischen Umsetzung abrufbar zu sein
und durch Übung weiter gefestigt und automatisiert zu
werden. Im optimalen Fall werden die so erworbenen
Handlungskompetenzen im weiterführend universitären
Unterricht wieder aufgegriffen, weiterentwickelt und so zu
immer komplexerer Lösungskompetenz herangeführt. Es
stellt sich die Frage, ob die wechselweise Transferleistung
zwischen institutionellem und praktischem Lernfeld durch
spezifische didaktische Vorgehensweisen besonders güns-
tig beeinflusst werden kann. Dafür gibt es verschiedene
Methoden und Konzepte:
Vormachen – Nachmachen
Die Methode »Vormachen- Nachmachen« wird im fach-
praktischen Unterricht gerne verwendet. Vortragende
demonstrieren eine praktische Fertigkeit und diese wird
von den Studierenden imitiert. Diese Methode lehnt sich
an das Lernen am Modell an, das davon ausgeht, dass das
Imitieren von Verhaltensweisen dem Menschen angeboren
ist. Diskutiert man diesen didaktischen Ansatz in Bezug
auf die Bloom‘sche Taxonomie für psychomotorische
Lernprozesse, so ist die Stufe der Imitation die niederste
Kompetenzstufe (Anderson et. al 1994). In dieser wird
ausschließlich die Fähigkeit der groben Imitation der von
ExpertInnen gezeigten Techniken durch die NovizInnen
erlangt. Erst in der dritten Stufe (Präzision) werden
Lernende unabhängig vom »Modell« – also von den vor-
machenden und korrigierenden ExpertInnen. Die fünfte
und höchste Stufe (Naturalisierung) führt dazu, dass
gelernte Handlungen automatisch ausgeführt werden.
Die Handlungsgewohnheit wird zur »zweiten Natur« und
kann situativ ohne konzentriere Anstrengung benützt
werden. Um also eine Transferleistung in die Situation der
Berufspraxis zu ermöglichen, muss nachahmendes Üben
mindestens auf die Präzisionsstufe geführt werden. Dies
bedeutet für die institutionelle Lehre, dass Lerninhalte
variiert und in praxisbezogene Kontexte gebracht werden
sollen. Zudem ist es sinnvoll, angelegte Fertigkeiten, die in
Praktika bereits begleitet umgesetzt worden sind, im fach-
theoretischen Unterricht immer wieder aufzugreifen und
neuen Verknüpfungen zuzuführen.
Lernen gelernt
Transferleistung von praktischen Kompetenzen
aus dem Physio-Unterricht auf die PatientInnensituation
Die Qualität der universitären Lehre orientiert sich am
Stand der aktuellen Forschung und Wissenschaft, die
Qualität der Berufspraxis wird durch Übung und Erfahrung
gesteigert. Es stellt sich die Frage, wie die Lehre der
praktischen Berufskompetenz den unterschiedlichen
Anforderungen gerecht werden und die Studierenden
optimal für die Berufsausübung vorbereiten kann. Ein
in dualen Ausbildungen diskutiertes Merkmal qualitativ
hochwertiger Lehre ist die Transferfähigkeit. Die For-
schung dazu kommt aus dem Fachbereich der Lernpsy-
chologie. Die Vorbereitung zu positiven Transferleistungen
als didaktische Herausforderung wird in der physio-
therapeutischen Lehre noch wenig diskutiert.
Transferfähigkeit
Magill und Anderson (2014) beschreiben für motorische
Handlungen, dass unter »Transfer« das Übertragen von
gelernten Bewegungen oder Fähigkeiten in neue Situatio-
nen, beziehungsweise der Übertrag des früheren Lernens
auf das aktuelle Lernen, verstanden wird. Eine erfolg-
reiche Transferleistung gilt als Kennzeichen effektiven
Lernens. Generell können drei Transfereffekte unterschie-
den werden. Ein positiver Transfer findet statt, wenn
die vorangegangene Erfahrung das Lernen von neuen
Bewegungen bzw. das Ausführen von Bewegungen in
einem neuen Kontext unterstützt oder erleichtert. Ein
negativer Transfer liegt vor, wenn vorangegangene Erfah-
rungen das Lernen bzw. Ausführen von Bewegungen in
einem neuen Kontext behindern oder hemmen. Bleibt
der Effekt aus, wird von einem Nulltransfer gesprochen.
Physiotherapeutische Behandlungsprozesse sind kom-
plexe Handlungen in denen motorische Leistungen und
ständig ablaufende Lösungsprozesse erforderlich sind.
Um die Behandlungssituation kompetent meistern zu
können wird also mehr als nur präzises Anwenden einer
Technik gefordert. Die Vermittlung dieser praktischen
Kompetenzen erfolgt über zwei Lernprozesse. Der erste
Lernprozess findet institutionell statt, im theoretisch
exemplarischen Lernfeld und außerhalb der praktischen
Anwendungsvollzüge und berufsspezifischen Wirklichkei-
ten. Der zweite Lernprozess erfolgt am Praktikums- und
Arbeitsplatz, in der »Welt der Wirklichkeit«. Der institutio-
nelle Lernprozess muss auf den prozeduralen Lernprozess
am Praktikumsort und in der späteren Berufspraxis
Das Studium der Physiotherapie schließt mit dem akademischen Grad des
Bachelor of Science ab und führt zur Berufsbefähigung als Physiothera-
peutIn. Die Ausbildung wird in dualer Form durchgeführt. Der Umfang der
zu vermittelnden Kompetenzen ist im Zuge der Akademisierung der Lehre
komplexer geworden. Zudem bestehen am physiotherapeutischen Markt
unterschiedlichste Konzepte und Techniken, die ein breites Spektrum an
Zugangsmöglichkeiten in der Therapie anbieten.
© Alexander Salecic
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Juni 2016
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