physio
austria
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September 2016
9
Als ich vor einigen Wochen gebeten wurde, den Leit-
artikel für die aktuelle Inform-Ausgabe zu schreiben,
sagte ich spontan zu. Warum? Ich mag Physiothera-
peutInnen. Sie sind bescheiden, verstehen ihr Geschäft,
sind nicht marktschreierisch und arbeiten – soweit ich
das beurteilen kann – nie mit doppeltem Boden.
Würde ich mir einen idealen Nachbarn oder eine ideale
Nachbarin wünschen, so wäre das ein Physiotherapeut
oder eine Physiotherapeutin. Genau darin scheint aber
auch das Problem dieser Berufsgruppe zu liegen:
PhysiotherapeutInnen sind nett, brav, angepasst. Sie
sind nicht laut, kommentieren nicht jede Entwicklung auf
dem Gesundheitsmarkt via Leserbrief oder Facebook –
und sie streiken nicht.
Vor einigen Jahren hatte ich mit KindergärtnerInnen zu
tun. Sie hatten ein ähnliches Problem, müssen viele
Defizite der Gesellschaft ausbügeln und erhalten den-
noch wenig öffentliche Anerkennung, werden immer
noch als »Tanten« angesprochen und sind vom Image
der ErzieherInnen weit entfernt. Als sie begannen, erst-
mals Zähne zu zeigen und für ihre Rechte als Elementar-
pädagogInnen und für mehr Gehalt auf die Straße zu
gehen, fragte eine Zeitung: »Ja dürfen die denn das?«
Heute, 2016, ist die Ausbildung für KindergärtnerInnen
zwar noch immer nicht im Hochschulsektor angesiedelt,
aber bei allen öffentlichen Bildungsdiskussionen sind
ElementarpädagogInnen selbstverständlich vertreten.
Das heißt im Kurzen: Ein braves Image und Zähneblecken
schließen einander nicht aus. Es irritiert zunächst, hilft
aber in der Wahrnehmung.
Aufbau von Glaubwürdigkeit
Wie sollen nun PhysiotherapeutInnen sein? Bissiger,
weniger brav, direkter? Im Juni hatte ich mit mehreren
Physio Austria-Mitgliedern in Niederösterreich Kontakt.
Es ging um die Frage, wie das Bundesland »fit für die
Zukunft« gemacht werden kann. Natürlich kamen wir
in Diskussionsrunden auch zur Frage, wie Physio Austria
und wie PhysiotherapeutInnen auftreten sollen. Hier
gingen die Meinungen weit auseinander: Von »deutlich
lauter, angriffiger« über »politischer« bis hin zu »cooler«
lauteten die Forderungen. Auch die Auffassung, dass
Physios durchaus humorvoll-sexy auftreten könnten,
war vertreten.
Das ist alles möglich – und doch nicht, denn Sie müssen
grundsätzlich unterscheiden, wen Sie vertreten: Den
Berufsverband Physio Austria? Den Gesundheitsberuf der
PhysiotherapeutInnen? Oder einzelne Praxen? Wenn ein
einzelner Physiotherapeut, eine Physiotherapeutin oder
eine Praxisgemeinschaft für sich beschließt, »sexy und
cool« aufzutreten, dann wird damit eine bestimmte
Klientel angezogen und hoffentlich das Businessmodell
darauf abgestimmt sein. Ob eine »sexy« Berufsvertretung
bei Verhandlungen mit Ministerien oder Krankenkassen
allerdings wirklich ernst genommen würde, ist infrage
zu stellen. Fakt ist dennoch: Den Beruf der Physiothera-
peutInnen gilt es bestmöglich zu positionieren.
PhysiotherapeutInnen werden von PatientInnen und Medien häufig als leise,
nicht aufmüpfige VertreterInnen einer Berufsgruppe, die der »Gesundheits-
branche« angehört, wahrgenommen. Um glaubwürdig, selbstbewusst und
seriös aufzutreten und sich als unabkömmliche Berufsgruppe zu positionieren,
ist es notwendig, die eigenen Stärken hervorzukehren.
POSITIONIERUNG
Mag. Gerhild Deutinger