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physio
austria
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September 2016
Dieser instabile Attributionsstil steht einem effektiven
Lernprozess im Weg. Erst wenn Kinder sich für ihre
Leistungen selbst verantwortlich fühlen, können sie
ein positives Kompetenzgefühl entwickeln. Einer Therapie,
die primär auf Verbesserung der allgemeinen Körperfunk-
tionen (z. B. Gleichgewicht, sensorische Integration)
abzielt, steht die Evidenz gegenüber. Solche prozess-
orientierten Ansätze führen nicht automatisch zu einer
besseren Ausführung im Alltag. NTT als Top-down-Ansatz
konzentriert sich direkt auf Alltagsaktivitäten und schließt
funktionelle und kognitive Ansätze mit ein. NTT ist in den
wissenschaftlichen Diskurs zum motorischen Lernen
(Magill, 2011) und die Neural Group Selection Theory
(Hadders-Algra, 2000) eingebunden, Studien und
Evidenzen sind vorhanden. Eine erfrischende Bereicherung
für die Kinderphysiotherapie stellt die Beachtung des Attri-
butionsstils dar. Damit rückt der oft mangelnde Selbstwert
bei Kindern mit UEMF in den Fokus der therapeutischen
Maßnahmen. Eine motorische Aufgabenanalyse, in der
die Qualität der Bewegungsausführung anstelle von Steue-
rungs- und Funktionsprozessen im Vordergrund steht, ist
für NTT unabdingbar und kann als physiotherapeutische
Kernkompetenz gesehen werden. Um die Therapie aber
an die jeweilige Lernphase des Kindes anzupassen, ist
man in seinen didaktischen Fähigkeiten und im Wissen
über Lernstrategien gefordert. Bereichernd wäre zukünftig
ein Fortbildungsangebot zu NTT auch in Österreich.
Zum motorischen
Lernen befähigen
Bei Kindern mit UEMF (AWMF 2011) werden verschiedene senso-
motorische Therapieformen angewandt, deren Wirksamkeit zum Teil
nicht nachgewiesen ist. Die internationale Guideline zur UEMF
empfiehlt aufgrund der Evidenzlage ein aufgabenorientiertes Training.
Je mehr die Übungssituation einer Fertigkeit im Alltag entspricht,
umso besser gelingt der Transfer. Kinder mit motorischen Entwick-
lungsstörungen haben besonders mit der Bewegungssteuerung
und -kontrolle Probleme. Beim NTT wird die Ausführung spezifischer
Fertigkeiten, mit denen das Kind Probleme hat, in der Therapie
qualitativ analysiert und in Teilhandlungen zerlegt, um eine bessere
Bewegungsausführung zu erarbeiten. Die ausgewählten Aktivitäten
variieren in ihrer Anforderung und werden vielfach wiederholt, sodass
dem Kind eine Anpassung an den jeweiligen Kontext gelingt und es
eine Bewegungsvorstellung entwickeln kann. Damit Kinder mit UEMF
eine »Vorkenntnis« über eine Bewegungsausführung entwickeln
können, benötigen sie mehr Zeit als andere Kinder und ein klares
Feedback. Der Transfer der erworbenen Fertigkeiten nach Hause und
in die Schule ist zentrales Anliegen von NTT. Lernprozesse im Gehirn
kann man nicht direkt beobachten, aber die Art der Durchführung
einer Handlung bzw. das Verhalten des Kindes lassen Rückschlüsse
zu, in welcher motorischen Lernphase es sich befindet (s. Infobox).
In der Therapie wird eine individuell auf das Kind abgestimmte
Aufgabenanalyse durchgeführt und je nach motorischer Lernphase
ein variantenreiches, von vielen Wiederholungen gekennzeichnetes
Therapieprogramm entwickelt. Selbstgeleitete Entdeckung und das
Lenken der Aufmerksamkeit auf einen externen Fokus erhöhen die
Behandlungseffektivität. Neben dem motorischen Kompetenzniveau
gilt es, die wahrgenommene Kompetenz des Kindes zu berücksichti-
gen. Kinder mit UEMF zeigen einen typischen Attributionsstil. Führen
sie eine motorische Aufgabe gut aus, schreiben sie dies externen
Ursachen zu (»Die Aufgabe war leicht«), wenn etwas missglückt,
suchen sie die Ursache bei sich selbst (»Ich kann es eben nicht«).
THERAPIEANSATZ
Dr. Heidi Samonig, MSc
© runzelkorn - Fotolia.com
LITERATUR
Smits-Engelsman, B. (2013): Neuromotor Task Training –
Zum motorischen Lernen befähigen. ergopraxis, 9, 24-30.
Hadders-Algra, M. (2000): The Neuronal Group Selection
Theory: a framework to explain variation in normal motor
development. Developmental Medicine & Child Neurology,
42(8), 566-572.
Magill, R. A. (2011): Motor learning: Concepts
and applications (9th ed.). New York: McGraw Hill.
Deutsch-Schweizerische Versorgungslinie zu Definition,
Störungsmechanismen, Untersuchung und Therapie bei
umschriebener Entwicklungsstörung motorischer Funktionen
(UEMF), Langversion 2011, online:
www.awmf.orgAus der Praxis
Pädiatrie
Motorische Lernphasen
Kognitive Phase:
das Kind sucht noch nach der richtigen Ausführung, die
Aufmerksamkeit ist ganz auf die motorische Handlung
gerichtet und die Variabilität der Ausführung ist groß.
Assoziative Phase:
das Kind hat bereits eine Bewegungsvorstellung
entwickelt, die Durchführung muss aber noch ständig
verfeinert und angepasst werden.
Autonome Phase:
gekennzeichnet durch schnelle, konstante und stabile
Bewegungen. Das Kind kann daneben auch andere
Tätigkeiten durchführen und die Aufmerksamkeit von
der Ausführung der Aufgabe abwenden.
Als Lernprinzipien gelten
°
Instruieren
Aufmerksamkeit einfordern,
Erkennen von zeitlicher Abfolge, Krafteinsatz,
Erlernen von Teilhandlungen, sich das »Wie«
der Bewegung vorstellen
°
Wissensaustausch
Sprechen über die Aufgabenausführung und
°
Feedback
neutrales Bewerten nach der Aufgabe
Bei Kindern mit umschriebener Entwicklungsstörung
motorischer Funktionen UEMF und in Zusammenhang mit
deren Herausforderungen beim Erlernen verschiedener Fertig-
keiten findet das Neuromotor Task Training NTT Anwendung.
Dieser aufgabenorientierte Therapieansatz berücksichtigt
die jeweilige Lernphase des Kindes. Angelehnt an den Artikel
von Smits-Engelsman (2013) wird dieser Zugang beschrieben.