Starke Stimmen
Angelika Widhalm, Vorsitzende Berufsverband Selbsthilfe Österreich (BVSHOE) und ihre Stellvertreterin Waltraud Duven haben auf Einladung von Constance Schlegl Physio Austria besucht. Wir haben die Gelegenheit für ein Interview genutzt.
"Was sind die Ziele und Aufgaben des BVSHOE?"
Widhalm: Unser vorrangiges Ziel ist die Rolle der Patient*innen im Gesundheits- und Sozialwesen sowie in der Gesellschaft zu stärken. Dazu vertreten und unterstützen wir die Anliegen der Selbst- hilfe- und Patient*innenorganisationen auf Bundesebene. Dabei ist der respektvolle Umgang mit Patient*innen ganz entscheidend. Dieser spiegelt sich in einem positiven Dialog wider. Der ist leider nicht immer gegeben. Zu oft wird die Rückkoppelung, die Antwort der Patient*innen nicht gehört und dadurch entsteht kein Dialog. Hinzu kommt, dass das Wort Selbsthilfe hierzulande zu negativ konnotiert ist. Das hat auch mit amerikanischen Filmen zu tun, in denen Selbsthilfegruppen in Sesselkreisen gezeigt werden. International wird von patient advocacy gesprochen, das gefällt mir besser.
Schlegl: Was die starke Stimme für die Patient*innen betrifft bin ich ganz bei Ihnen. Sie sind die wahren Expert*innen, wenn es um ihr Befinden geht. Da ist von allen Gesundheitsberufen hohe Sensibilität und Empathie gefordert. Ein gutes Beispiel ist Long Covid: Da muss jetzt genau hingehört werden und im multiprofessionellen Austausch das Beste für die Patient*innen erarbeitet werden.
"Wie ist der BVSHOE strukturiert und wie entscheidend ist das ehrenamtliche Engagement?"
Duven: Der BVSHOE ist ein nicht gewinnorientierter Verein. Durch die Vielfalt unserer Mitgliedsorganistionen bewahren wir die inhaltliche Unabhängigkeit und unterstützen die ehrenamtliche Arbeit im Patient*innenumfeld. Ein weiteres Ziel dabei ist auch der Schutz der Würde der Betroffenen. Wir verstehen uns als überparteiliche und überkonfessionelle Institution, die mit den gesundheits- und sozialpolitischen Organisationen im permanenten Dialog zur Lösungsfindung steht.
Widhalm: Zu den Zielen noch einen weiteren Aspekt: Die Patient*innen haben häufig einen mühsamen Weg hinter sich. Wir verstehen uns auch als Begleiter durch das Gesundheitssystem und als Vermittler. Dabei steht stets die Frage nach den Bedürfnissen der Patient*innen im Fokus.
"Welche Projekte und Initiativen verfolgen Sie aktuell?"
Widhalm: Stellvertretend für weitere Projekte möchte ich ELGA – die elektronische Gesundheitsakte – erwähnen. Sie ist eine der vielen Herausforderungen im Gesundheitsbereich und betrifft jede sozialversicherte Person in Österreich. Und dennoch wurden die Selbsthilfe- und Patient*innenorganisationen anfänglich nicht eingebunden. Das hat sich nicht zuletzt aufgrund der stärker werdenden kollektiven Patient*innenbeteiligung geändert.
Schlegl: Die Physiotherapeut*innen sind nicht in ELGA, was angesichts der Zahl der Berufsangehörigen und der damit verbundenen Menge an Kommunikation ein großer Nachteil ist. Wir können nicht auf Befunde zugreifen und auch unsere, für andere am Behandlungsprozess beteiligten Berufsgruppen relevanten Informationen nicht einspielen. Die Anbindung der Physiotherapie an den elektronischen Datenaustausch ist längst überfällig.
Duven: Eigentlich naheliegend, zumal es auch das multiprofessionelle Arbeiten erleichtern würde.
Schlegl: Exakt so ist es. So wie auch bei einem weiteren Thema, das in den kommenden Jahren sehr bedeutsam sein wird, nämlich dem Ausbau der Primärversorgungseinheiten (PVE). Wir sind nicht Teil des Kernteams, wir wollen das aber sein und auch PVE gründen dürfen. Der Vorteil, wenn Physiotherapie in einem PVE enthalten ist, ist, dass die Bewegungskompetenz im Haus ist – und das auf kurzem niederschwelligem Weg.
Widhalm: Aus der Perspektive der Patient*innen betrachtet eigentlich auch selbstredend. Wir haben sicher noch weitere Themen bei denen wir gemeinsam eine starke Stimme sein können. Somit lade ich sehr gerne dazu ein, den Austausch zu forcieren und für eine weitere Folge unseres Podcasts Gast zu sein.
Schlegl: Die Einladung nehme ich sehr gerne an, vielen Dank.
AutorIn
Constance Schlegl, MPH
Präsidentin Physio Austria