Wie das Medikament „Bewegung“ in dieser fordernden Lebenszeit helfen kann

Bewegung als Begleiterin bei Krebs

Text: Peter Bergsmann, MSc OMT

Mittels körperlicher Aktivität und Sport können krankheits- und therapiebedingte Nebenwirkungen sowie die Prognose bei Krebs positiv beeinflusst werden.

Etwa 42.000 Österreicher*innen erkranken jährlich an Krebs. Die häufigsten Tumorarten sind Prostata-, Brust-, Darm- und Lungenkrebs. Obwohl die Absolutzahlen der Krebsneuerkrankungen in den letzten Jahrzehnten stetig stiegen, hat sich die relative Überlebenswahrscheinlichkeit mit Krebs verbessert. Die Zeit der Krebserkrankung kann für die Betroffenen und deren Angehörige eine sehr fordernde sein. Operationen, Strahlen-, Chemo-, Immun- und Antihormontherapien, aber auch die Erkrankung selbst können zu bestimmten Nebenwirkungen führen. So leiden beispielsweise 25 bis 99% der Patient*innen an einem überdurchschnittlich stark ausgeprägten körperlichen und/oder mentalen Müdigkeits- und Erschöpfungszustand, dem Fatigue-Syndrom. Abhängig von der Therapieform, der Krebsart und dem Stadium berichten viele Patient*innen über Missempfindungen der Hände oder Füße, Schlafstörungen, Schmerzen, Muskelschwund, Lymphödeme, Harnverlust, ein verändertes Selbstbild und eine reduzierte Lebensqualität.

Bewegung als Medikament

Bewegung spielt in der Behandlung der beschriebenen Probleme eine bedeutende Rolle. Schon der Einsatz von Bewegung im Alltag (z.B. Treppe statt Lift) ist sinnvoll. Mittlerweile zeigten hunderte wissenschaftliche Studien, dass mit einer Kombination

aus regelmäßigem Kraft- und Ausdauertraining die meisten tumor- und tumortherapiebedingten Nebenwirkungen positiv beeinflusst werden können. Bei den häufigsten Tumorarten – Brust-, Prostata- und Darmkrebs – konnte je nach Tumorstadium sogar ein prognoseverbessernder Effekt gezeigt werden. Bewegung ist dabei in jeder Therapiephase (vor/ während/nach der krebsbedingten Folgetherapie) und in jedem Krankheitsstadium eine sichere und effektive Therapieform. Die beste Wirksamkeit ergibt sich jedoch nach Abschluss der krebsbedingten Folgetherapie und bei moderaten bis intensiven Trainingsintensitäten. Bei laufender Folgetherapie, z.B. zwischen den einzelnen Chemotherapie-Zyklen, kann nach Absprache mit den behandelnden Onkolog*innen zumindest mit leichtem Training gestartet werden.

 

Wussten Sie, dass...?

...sich erwachsene Menschen zwischen dem 18. und dem 64. Lebensjahr zumindest 150-300 Minuten pro Woche mit moderater Intensität oder 75-150 Minuten pro Woche mit intensiver Intensität bewegen sollen und, dass im Idealfall zudem mindestens 2x/Woche ein Krafttraining für die großen

Muskelgruppen durchgeführt wird.

 

Kraft- und Ausdauer: Im Doppelpack effizienter

Von Bedeutung ist, dass Kraft- und Ausdauertraining als Kombinationsanwendung durchgeführt werden sollte. Die isolierte Anwendung beider Trainingsformen ist weniger effektiv. Vor dem Trainingsstart sollte jedenfalls ein fachärztlicher Leistungscheck erfolgen. Speziell ausgebildete Physiotherapeut*innen können als kompetente Begleiter*innen in der ersten Trainingsphase zur Seite stehen, ebenso ist eine ambulante oder stationäre onkologische Rehabilitation sinnvoll. An zwei bis drei Tagen pro Woche sollten Patient*innen ein pulskontrolliertes Ausdauertraining für 30 bis 45 Minuten durchführen. Die Trainingsintensität und -dauer wird dabei an die Leistungsfähigkeit der Patient*innen angepasst. Wenn zu Beginn nur 15 Minuten absolviert werden können, ist das überhaupt kein Problem – es ist schließlich noch kein Meister vom Himmel gefallen. Ob auf dem Ergometer oder dem Rudergerät trainiert oder Nordic Walking als Trainingsform herangezogen wird, ist nicht entscheidend. Sämtliche Bewegungsformen können effektiv sein. Je nach individueller Zielsetzung wird zwei- bis dreimaliges Krafttraining pro Woche empfohlen. Es gibt kein speziell empfohlenes Übungsprogramm für Krebspatient*innen. Ideal ist ein Trainingsprogramm mit 8-12 Übungen, die möglichst viel Muskelmasse aktivieren (z.B. Kniebeugen, Wadenheben, Schulterdrücken, etc.). Pro Übung sollten etwa drei Sätze durchgeführt werden. Die Anzahl der Wiederholungen pro Satz kann bei

8 bis 15 liegen. Entscheidend für den erwünschten Muskelzuwachs ist jedoch, dass am Ende eines jeden Satzes eine Erschöpfung der aktivierten Muskelgruppe einsetzt. Das erarbeitete Trainingsprogramm sollte anschließend in regelmäßigen Abständen evaluiert und adaptiert werden.

 

Literatur:

Baumann, F.T., Jäger, E.; Bloch, W. (2012). Sport und körperliche Aktivität in der Onkologie. Berlin Heidelberg: Springer Verlag.

Baumann, F.T.; Schüle, K. (2022). Bewegungstherapie in der Onkologie. Wissenschaftliche Grundlagen, Übungsanleitungen, OTT-Versorgungsmodell. Köln: Deutscher Ärzteverlag.

Hackl, M.; Ihle, P. (2022). Krebserkrankungen in Österreich 2022. Wien: Statistik Austria.

WHO (2020). WHO Guidelines on Physical Activity and Sedentary Behaviour. Geneva: WHO.

 

Peter Bergsmann, MSc OMT
ist selbständiger Physiotherapeut
in Linz mit Schwerpunkt im Bereich Orthopädie, Onkologie und Urologie; ist nebenberuflich Lehrender an der FH Gesundheitsberufe OÖ und im postgradualen Bereich (Training mit Krebspatient*Innen, etc.)

Aus der Ausgabe

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2023|03

Bewegt-Magazin März 2023

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