Bettnässen bei Kindern und Jugendlichen verändern
Fallbeispiel von einem Kind, das bettnässte. Nachdem die Verstopfung gelöst und die Interozeption für die volle Blase am Tag besser war, blieb das Bett trocken.
Als Joels Mutter (Name des Kindes wurde zum Schutz der Privatsphäre verändert) mich kontaktiert, möchte sie Unterstützung haben, damit er nicht mehr jede Nacht in einem nassen Bett aufwacht. Joel ist damals fünf Jahre alt und besucht den Kindergarten. Bereits beim ersten Termin in der Praxis stellt sich heraus, dass er auch tagsüber sehr oft auf den WCBesuch vergisst. Das Spielen mit seinen Autos und Zügen ist viel wichtiger. Genaugenommen bemerkt er die nasse Hose im Spiel nicht einmal selbst, sondern seine Eltern oder andere Kinder machen ihn darauf aufmerksam. Er selbst weiß nicht wann er aufs Klo muss, er spürt es einfach nicht. Manchmal schon, aber da ist es eben schon zu spät. Seine Mama fragt immer wieder nach, aber er tut das mit einen schnellen genervten: „Nein, muss nicht!“, ab und spielt weiter. Als ich mich mit Joels Mutter weiter unterhalte, kläre ich sie über Verstopfung auf und frage nach, ob sie etwas in diese Richtung bemerkt hätte. „Ja, manchmal presst er mit hochrotem Kopf am WC und heult, weil es nicht rauskommt. Ich muss dann manchmal mit ihm weinen, weil ich sehe wie sehr es ihn quält.“
Das ist eines der Anzeichen für eine Verstopfung. Bei Joel wechselt sich der feste, große und harte Stuhl mit dem weichen Stuhl ab, deshalb hatte seine Mama zuerst nicht an eine Verstopfung gedacht. Da er aber immer wieder auch Stuhlstreifen in der Unterhose hat, wird ein zweiter Verdacht auf eine Verstopfung klar. Das Einnässen am Tag und im Schlaf ist ein dritter Hinweis. In Absprache mit dem Kinderarzt erhält Joel eine Ultraschalluntersuchung, welche die Verstopfung und eine Erweiterung des Enddarms bestätigt. Deshalb soll er nun für mindestens drei Monate einen Stuhlweichmacher einnehmen. Es ist ein Abführmittel mit dem Wirkstoff Macrogol, auch bekannt als Polyethylenglycol, kurz PEG, das Wasser bindet und stark abführende Eigenschaften hat. Dieser sorgt dafür, dass mehr Wasser in der Stuhlmasse bleibt und sich so nicht mehr zu einem dicken harten Klumpen formt, der sehr schmerzhaft beim Ausscheiden ist. Zuerst muss die Verstopfung aufgelöst werden, dann kann sich das Einnässen am Tag verbessern und schließlich das Bettnässen aufhören.
Stockerl unter den Füßen entspannt den Beckenboden
In der Physiotherapie erarbeiten wir, wie die optimale Bauch-Ruheatmung ihm beim WC-Gang unterstützen kann. Joel lernt zu spüren, wie ihn ein Stockerl unter den Füßen dabei hilft, seinen Beckenboden leichter zu entspannen. Er ist im ersten Moment von diesem Vorschlag nicht begeistert, denn seiner Meinung nach brauchen nur kleine Kinder so ein Ding. Als nach einigen Tagen die Stuhlentleerung regelmäßiger wird und immer schmerzfrei ist, sind sich Mama und Sohn einig: das Stockerl bleibt. Joel lernte außerdem mit verschiedenen Übungen seine Beckenbodenmuskulatur bewusst anzuspannen oder zu entspannen, sowie seine volle Blase und seinen vollen Darm bewusster zu erkennen. Diesen Körpersinn nennt man Interozeption. Er hilft dabei die Signale des Körpers zu verstehen. Joel brauchte Unterstützung beim Erkennen seiner Körpersignale, denn das Gefühl von Hunger und Durst sind für ihn auch nicht eindeutig erkennbar. Er trinkt tagsüber weniger als 500ml und abends dann 400ml Milch. Für ein Kind seines Alters und Körpergewichts sind aber mind. 1200ml empfohlen. Sein Trinkverhalten begünstigt eine Verstopfung und das Bettnässen.
Es löst quasi einen Teufelskreis aus. In den ersten Wochen war es nicht einfach, seine Gewohnheiten zu verändern, denn seine erste Antwort blieb lange: „Nein, die Blase meldet sich nicht. Wir haben noch lange Zeit.“ und die Flasche Milch am Abend, war ein liebgewonnenes Ritual. In der Therapie lernte er außerdem Bewegungsübungen für den Rücken, die Rumpfmuskeln und die Beine. Da Joel ein großer Manchester United Fan ist waren sie großteils als Fußballtraining verpackt. Die Stuhlstreifen in der Unterhose waren nach wenigen Wochen Geschichte und parallel dazu wurden die nassen Hosen immer weniger. Das trockene Bett folgte dann ein paar Monate später.
Wussten Sie, dass...?
- die empfohlene Tagestrinkmenge sich
nach dem Alter und Körpergewicht des
Kindes richtet? - Verstopfung auch bei täglicher Stuhlabgabe
vorkommen kann? - das Trinkverhalten für das Bettnässen mitverantwortlich sein kann?
Literatur:
Mahler, K. (2015). Interoception. The Eighth Sensory System. AAPC Publishing
http://aylinknapp.com/2021/01/23/wieviel-sollmein-kind-trinken/ abgerufen am 21.01.2022
http://aylinknapp.com/2021/01/30/ursachen-warum-mein-kind-einnaesst-teil-1/ abgerufen am 21.01.2022
http://aylinknapp.com/2021/11/08/13-anzeichendass-mein-kind-eine-verstopfung-hat/ abgerufen am 21.01.2022
AutorIn
Aylin Knapp, BSc
freiberuflich tätige Physiotherapeutin in Leibnitz