Kinder professionell begleiten

Asymmetrische Entwicklung von Säuglingen

von Claudia Bäumel, BSc MA

Das wächst sich aus. Ein Satz, den Eltern in Sorge um ihr Kind öfters zu hören bekommen. Wann und was wächst sich wirklich aus – und was eher nicht?

Im ersten Lebensjahr gibt es Meilensteine, die eine Richtschnur für die Entwicklung des Kindes sind. Diese werden unter anderem in der Mutter-Kind-Pass-Untersuchung beurteilt. Ein besonderer Meilenstein besteht in der symmetrisch gehaltenen Rückenlage und im symmetrischen Ellenbogenstütz. Es gibt Kinder, die aus unterschiedlichen Gründen eine gewisse Asymmetrie entwickeln. Bahnt sich diese in den ersten drei Monaten an und bleibt unbehandelt, kann sie zu dauerhaften Veränderungen im Körperbau des Kindes führen. Stellen Sie sich vor, Sie können Ihren Kopf für längere Zeit nicht wenden – zum Beispiel nach einem Hexenschuss. Ihr gesamter Körper stellt sich um den Kopf herum in ein asymmetrisches Haltungsmuster ein. Ein Säugling nimmt Asymmetrien anders wahr. Die Hand, die öfter zum Gesicht geführt wird, wird besser erforscht und ist besser gesteuert als jene, die sich außerhalb der Sicht- und Tastweite befindet. In diesem Fall entwickelt sich das Kind mit einem asymmetrischen Körperselbstbild und Körperbau sowie mit asymmetrischer Steuerung. Das beeinflusst die Art und Weise, wie es sich später bewegt.

 

Was im Körper

passiert Gerade bei großen Wachstumsschüben (mehr als ein Zentimenter pro Monat) kommt es zu Einbußen der Koordination, da sich die Hebelverhältnisse im Körper des Kindes ändern. So müssen alle Bewegungen der Arme und Beine vom Rumpf gesteuert werden. Kinderknochen, die noch wachsen, haben eine größere Elastizität als Knochen von Erwachsenen. Die Art und Weise, wie das Skelett bedient wird, formt bis zu einem gewissen Grad den Knochenbau. Aus der Kinder professionell begleiten Claudia Bäumel, BSc MA Asymmetrische Entwicklung von Säuglingen … Eltern in den ersten drei Lebensmonaten ihre Kindes folgende Anzeichen für Asymmetrie beobachten könnten? ◦ Kopfdrehung konstant zu einer Seite (nicht seitengleich) ◦ Abflachung des Kopfes auf einer Seite ◦ Unvermögen, die Bauchlage und den Stütz der Arme zu erreichen ◦ erschwertes Trinken auf einer Brustseite ◦ deutlich nur einseitiges Greifen ◦ fehlendes Tragen der Beine; sie können nicht im rechten Winkel nach oben gehalten werden ◦ allgemeine Unruhe Wussten Sie, dass ...? September 2020 11 Rückenlage und Bauchlage beginnen Säuglinge, sich weiter zu orientieren, um die Umwelt zu erforschen. Das Kind wird von seiner Neugierde angetrieben und bewegt sich mit seinen Möglichkeiten fort. In dieser Funktion spannen sich Muskeln an, die ihre Ansatzpunkte an den Knochen haben. Der Zug der Muskulatur und die Schwerkraft geben den Knochen die Richtung an, in die gewachsen werden soll. Bleibt das asymmetrische Haltungsmuster, kann es in der spontanen Beweglichkeit nicht vom Kind korrigiert werden. Das Kind steht schief und knickt mit einem oder beiden Beinen nach innen, weil es sein Becken nicht aufrichten kann. Der Einbeinstand (ein Knie zum Bauch) – der letzte Meilenstein mit sechs Jahren – gelingt nicht oder erst später. Wir wissen, dass die motorische Entwicklung mit sechs Jahren nicht endet. Sie geht ins Jugendalter über, in dem sich eine asymmetrische Entwicklung in Ungeschicklichkeit, in geringen sportlichen Fähigkeiten oder in Schmerzen im Rücken äußert, zum Beispiel im Schulunterricht beim Sitzen.

 

Richtungsweisende Therapie

Es ist von vielen verschiedenen Faktoren abhängig, ob eine Physiotherapie mit dem Kind durchgeführt werden soll oder nicht. Aus physiotherapeutischer Sicht besteht dann ein Grund zur Behandlung, wenn Säuglinge eine Körperseite aus einem Mangel an Bewegungsalternativen bevorzugen. Das Drehen muss ihnen auf beiden Seiten möglich sein. Folgt der ganze Körper der asymmetrischen Ausrichtung, spricht man vom Asymmetrie-Syndrom: Der Hinterkopf ist auf einer Seite abgeflacht, der Kopf zu einer Seite gedreht, die Wirbelsäule dreidimensional verdreht, eine Hüftseite nicht so gut entwickelt. Für Kinder mit diesen Voraussetzungen ist die Fortbewegung mühsamer als für jene, die symmetrische Haltungshintergründe haben. Eine Behandlung zur rechten Zeit verhindert Folgen für das Kind und für den späteren Erwachsenen. Rückenschmerzen zählen zu den häufigsten Beschwerden der Bevölkerung. Ein genaues Betrachten der Bewegungsmuster in den ersten Lebensmonaten und eine adäquate Intervention durch Physiotherapie können viele Beschwerden verhindern oder lindern.

 

Wussten Sie, dass...

 

  • Kopfdrehung konstant zu einer Seite (nicht seitengleich)
  • Abflachung des Kopfes auf einer Seite
  • Unvermögen, die Bauchlage und den Stütz der Arme zu erreichen
  • erschwertes Trinken auf einer Brustseite
  • deutlich nur einseitiges Greifen
  • fehlendes Tragen der Beine; sie können nicht im rechten Winkel nach oben gehalten werden
  • allgemeine Unruhe

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Claudia Bäumel, BSc MA

Physiotherapeutin mit dem Schwerpunkt im Fachbereich Neuropädiatrie

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2020|09

Bewegt-Magazin September 2020

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