Aufgabe der Anamnese als
Bestandteil der Befundung
Neben der Aufklärung werden wichtige Informa-
tionen über Erwartungen und Vorstellungen
ausgetauscht und Vertrauen aufgebaut. Nur auf
dieser Basis können PatientInnen von ihren
Mitbestimmungsansprüchen Gebrauch machen.
In dieser Phase entwickelt sich auch die therapeuti-
sche Beziehung zum/zur PatientIn, die grundlegend
für ein erfolgreiches Behandlungsresultat ist. Als
ideal gelten mündige, aktiv agierende PatientInnen
im Sinne von Adhärenz, die sich und ihre Anliegen
in die Therapie einbringen. Adhärenz, die Einhaltung
der gemeinsam von PatientInnen und dem medizini-
schen Fachpersonal gesetzten Therapieziele, hat der
Compliance (Therapietreue) durch den Wertewandel
der letzten Jahre den Rang abgelaufen, wodurch aus
„folgsamen PatientInnen“ selbstwirksame mitgestal-
tende PatientInnen werden. In der Interaktion mit
PatientInnen mit Migrationshintergrund kann es
besonders an dieser Stelle zu strukturellen Unter-
schieden kommen. Herausforderungen in der
Kommunikation können die Diagnosestellung er-
schweren und den Therapieablauf uneffektiv ge-
stalten, aber auch die PatientInnenzufriedenheit
maßgeblich beeinflussen. Die/der Physiotherapeu-
tIn ist dazu aufgefordert im Sinne einer professio-
nellen Qualifizierung eine neutrale Perspektive auch
gegenüber Werthaltungen zu entwickeln.
Während in anderen Disziplinen kultursensible Ver-
sorgungskonzepte bereits vielfach analysiert wer-
den, finden sich im physiotherapeutischen Bereich
lediglich erste Ansätze einer Auseinandersetzung.
Gerade mit zunehmender Diversität innerhalb der
Gesellschaft wird eine Berücksichtigung des kultu-
rellen Kontexts immer wesentlicher.
Im Jahr 2013 gaben rund 1,63 Millionen ausländische
Staatsangehörige ihren Hauptwohnsitz in Österreich an.
Mit nahezu 268.000 Personen bildeten türkische Zuwande-
rerInnen die drittgrößte MigrantInnengruppe. Es sind auch
zunehmend größere Religionsgemeinschaften vertreten, so
zum Beispiel 550.000 Muslime im Jahr 2012, denen der
Staat mit Gesetzen wie dem Islamgesetz begegnet. Dies
spiegelt sich auch im österreichischen Gesundheitssystem
wider, wo das PatientInnenklientel immer internationaler
wird und neue Herausforderungen mit sich bringt. Aus dem
statistischen Jahrbuch für Migration und Integration 2014
geht beispielsweise hervor, dass 15 Prozent der türkischen
und elf Prozent der ex-jugoslawischen Staatsangehörigen
zwischen 2010 und 2012 ihren eigenen Gesundheitszustand
als schlecht bewerteten, hingegen aber nur acht Prozent
der österreichischen Staatsangehörigen. Vergleicht man
hierzu die Inanspruchnahme präventiver Vorsorgepro-
gramme oder ärztlicher Institutionen, fällt auf, dass Per-
sonen mit Migrationshintergrund diese deutlich seltener
nutzen. Multikulturalität ist somit im Gesundheitswesen
Österreichs ein brennend aktuelles Thema, nicht zuletzt
durch das gesellschaftliche Klima, in dem Bedürfnisse von
Menschen anderer soziokultureller Herkunft nur zögerlich
zur Kenntnis genommen werden.
Kultursensible Zugänge in der Physiotherapie
In pflegewissenschaftlicher und soziologischer Fachliteratur
wurden kultursensible Versorgungskonzepte vielfach analy-
siert. Im physiotherapeutischen Bereich findet man ledig-
lich erste Ansätze einer Auseinandersetzung. So wird
evidenzbasierte Physiotherapie zunehmend mit kulturellem
Kontext in Verbindung gebracht. Die praktische Ausübung
involviert neben qualitativem Clinical Reasoning, fachlichem
Wissen und PatientInnenanliegen stets den bestehenden
Kontext einer Person, der unter anderem kulturelle Aspekte
aufgreift. Demnach beeinflusst Kultur nicht nur die Erwar-
tungen von PatientIn und PhysiotherapeutIn, sondern auch
deren Krankheitsverständnis, Kommunikation und Patien-
tInnen-TherapeutInnen-Interaktion, wodurch Physiothera-
peutInnen dazu aufgefordert sind, diese zu berücksichtigen.
Themenschwerpunkt
Faktor Mensch in der Physiotherapie
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