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Februar 2016
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Neueste Zeit (ausklingendes 18. und 19. Jahrhundert)
In Deutschland beschreibt Johann Christoph Friedrich
Guts Muths die heilende Wirkung der Gymnastik zur
Wiederherstellung verlorener Gesundheit und zur Stär-
kung schwächerer Körperglieder. Per Henrik Ling ent-
wickelte Übungen, die für die Krankenbehandlung
gedacht waren. Bei diesen wurden Teile von Bewegungs-
abläufen langsam geübt. Gustav Zander entwickelte
Apparate, welche zuerst mit Hebeldruck, später durch
Dampf-, Gas- und Elektromotoren angetrieben wurden.
Das Üben mit diesen »Zander
’
schen Gymnasten« wurde
auch als »medikomechanische Gymnastik« bezeichnet
(Grosch, 1996, S. 239 f.). Er wird hiermit zu einem kon-
sequenten Vertreter des Arbeitens mit gymnastischen
Übungen unter Zuhilfenahme von Maschinen. Ende des
19. Jahrhunderts sammelte Albert Hoffa alle bisher be-
kannten Behandlungsmethoden und implementierte die
schwedische Heilgymnastik nach Ling in die Orthopädie.
Damit hatte er einen maßgeblichen Einfluss auf die
weitere Entwicklung der medizinischen Gymnastik.
20. Jahrhundert
Schließlich wurde 1901 von Johann Hermann Lubinus die
erste Lehranstalt für Heilgymnastik in Kiel in Deutschland
gegründet. Durch die steigende Zahl von heilgymnastik-
bedürftigen PatientInnen, bedingt durch den Ersten Welt-
krieg und die zunehmende Industrialisierung kam es zu
immer mehr Gründungen neuer Ausbildungsstätten. Teil-
weise wurden die Ausbildungsinhalte bereits gesetzlich
geregelt. 1926 folgte unter anderem die Münchner Kran-
kengymnastikschule mit einer zweijährigen Ausbildung,
welche in Folge auch einen bedeutenden Einfluss auf die
Ausbildung in Österreich haben sollte.
100 Jahren Physiotherapie in Österreich
In Österreich wurde 1916 die erste Ausbildungsstätte,
die »Schule für Assistentinnen der Physikotherapie« von
Hofrat Prof. Dr. Josef Kowarschik (1876-1965) in Lainz
am Kaiser Jubiläumsspital der Stadt Wien als Privatschule
eröffnet und bis 1941 ohne eine gesetzliche Grundlage
geführt. Der Vorläufer dieser Ausbildungsstätte waren
in der von Kowarschik geleiteten »Schule zur Ausbildung
von Hilfskräften für physikalische Therapie« speziell orga-
nisierte Kurse.
Die Ausbildung dauerte zu Beginn 1916 nur einige
Wochen, dann einige Monate und ab 1940 ein Jahr.
Die Ursache für die Schließung der Schule 1941 (der
Erlass dazu war bereits Ende 1940 erfolgt) waren die
fehlenden gesetzlichen Grundlagen im alten Österreich
und die deutlichen Unterschiede in der Ausbildung zu
Deutschland.
Am 4. Oktober 1943 durfte aufgrund des unermüdlichen
Engagements von Johanna »Hansi« Betzwarz (1899-1981),
welche für Kowarschik die Schulangelegenheiten führte,
offiziell eine zweijährig geführte »Schule zur Ausbildung
staatlich anerkannter Krankengymnastinnen und Assis-
tentinnen für Physikalische Therapie« ihren Ausbildungs-
betrieb aufnehmen. Ausschlaggebend für diese
Bewilligung war vermutlich die persönliche Vorsprache
von Betzwarz bei Dr. Max Wolsegger, Ministerialrat im
Reichsministerium des Inneren in Berlin, am 24. März
1942 (Betzwarz, 1942a, o.S.). Der Ausbildungsbetrieb
war den damals staatlichen Schulen für Krankengymnas-
tik im Deutschen Reich gleichzuhalten. Die für die 1943
startende Ausbildung geltenden Satzungen und der Lehr-
plan wurden von der »Lehranstalt für Krankengymnas-
tinnen auf dem gesamten Gebiet der physikalischen Heil-
methoden am Institut für physikalische Therapie und
Röntgenologie der Universität München« übernommen.
Es bestanden zu diesem Zeitpunkt zwar für Bayern formal
und inhaltlich hoheitlich geregelte Bestimmungen für die
Aufnahme, den Ablauf und die nachfolgende Berufsbe-
rechtigung der Krankengymnastinnen bzw. Assistentin-
nen für physikalische Therapie, aber keinerlei gesetzliche
Regelung für Österreich. Dr. Ilse Grohs (Groß) (1905-
1999) stand als Lehrende und als Praktikumsanleiterin
Betzwarz zur Seite.
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Dr. Kowarschik, mittlerweile Hofrat,
Professor und Leiter der Abteilung
für Physikalische Medizin der 1. Chirur-
gischen Universitätsklinik Wien, schreibt
an das Bundesministerium für soziale
Verwaltung: »Wir können den Anforde-
rungen an Heilgymnastinnen für
Krankenhäuser, Kassenambulatorien
nicht mehr nachkommen.
Ein Krankenhaus musste die
Patienten entlassen, weil für die
notwendige heilgymnastische
Nachbehandlung nach neuro-
chirurgischen Operationen keine
Spezialkräfte vorhanden sind.«
1951
ÜBERSICHT
1916 bis 1941
BERUFSBEZEICHNUNG
Assistentin für Physikotherapie
AUSBILDUNGSDAUER
zu Beginn nur einige Wochen,
dann einige Monate,
AB 1940
ein Jahr
FREIBERUFLICHKEIT
Nein
HISTORIE
Dr. Alice Maria Synek-Strassnitzky,
M.Ed.
© Deutscher Verband für Physiotherapie